„Zu fällen einen schönen Baum,
braucht ’s eine halbe Stunde kaum.
Zu wachsen, bis man ihn bewundert,
braucht er, bedenk‘ es, ein Jahrhundert.“
Wohl wahr, was Eugen Roth geschrieben hat. Aber manchmal geht es nicht anders. Die Straße Rentensiedlung in Broitzem ist eine beschauliche kleine Sackgasse. Sie führt leicht bergauf und immer hatte man die Linde an ihrem Ende im Blick. Mittlerweile war sie zu einem stattlichen Baum herangewachsen und prägend für das ganze Wohnviertel. Sie muss mit dem Bau der Häuser und der Anlage der Straße gepflanzt worden sein. Und das ist schon 100 Jahre her. Die sogenannte Rentensiedlung wurde 1922 fertiggestellt. Ihren Namen hat sie vom damaligen Bauträger, der Evangelischen Rentenhausgenossenschaft.
100 Jahre sind für eine Linde eigentlich kein Alter. Aber im Laufe ihres Lebens muss sie Schaden genommen haben. Vielleicht haben vor Jahrzehnten Leitungsarbeiten ihre Wurzeln beschädigt oder an ihrem Stammfuß hatte es eine Rindenbeschädigung gegeben und so konnte ein Pilz in sie eindringen, der sie ähnlich einem Krebsgeschwür von innen her auflöste.
Am Stamm war der Schaden nur schwer zu erkennen, aber ihr Laub und die fehlende Feinverzweigung deuteten schon darauf hin, dass es ihr nicht gut ging. Der Fachbereich Stadtgrün fällt heutzutage keine alten Bäume ohne vernünftigen Grund. Wenn man im unteren Bereich des Stammes klopfte, konnte man es schon hören: Hohlklang. Ein Gutachten betätigte dann ihre mangelnde Standfestigkeit. Heute gibt es verschiedene Untersuchungsmethoden für Bäume. Eine Schalltomographie und eine Bohrwiderstandmessung wurden durchgeführt und der Befall mit dem Brandkrustenpilz wurde entdeckt. Der Pilz hatte Moderfäule verursacht und die Wurzelanläufe und den Stamm zersetzt. Die Standfestigkeit des Baumes war nicht mehr gegeben und es bestand akute Bruchgefahr.
Ein Jammer, dass dieser schöne Baum gefällt werden musste. Alte Bäume sind in ihrer Zersetzungsphase für viele Käfer ein wichtiger Lebensraum und hohle Bäume sind in der Natur normal und bieten Höhlenbrütern Wohnraum. Aber, und das muss auch ein Baumfreund anerkennen, Sicherheit geht vor. Es hätten Menschen zu Schaden kommen können. Am 12. Oktober wurde der Baum gefällt. Es hat ein bisschen länger als eine halbe Stunde gedauert, einfach fällen konnte man den Baum nicht. Mittels eines Hubsteigers wurde er stückweise heruntergesetzt. Ganz verlassen hat uns die Linde nicht. Als Biotopholz wurden ihr Stamm und das starke Astholz auf der Ausgleichsfläche zwischen der Straße nach Stiddien und dem Broitzemer Wiesenweg abgelegt. So kann ihr Holz noch Lebensraum für Käfer, Pilze und die hier vorkommende Waldeidechse sein.
Der Fachbereich Stadtgrün hat die Neupflanzung eines Baumes an alter Stelle zugesichert.
Klaus Hermann
(Pro Natur Braunschweig Südwest e.V.)